0151-21315985  D-64625 Bensheim

Stein und Kunst auf der ART Düsseldorf 2023

Gestein und Kunst – Erdgeschichte, Metamorphose, Marmor, Skulptur und Werden auf der ART Düsseldorf 03/2023

Kunst und Klima, im weitesten Sinne… Bildhauer arbeiten am rauen Stein und erschaffen etwas Neues, Schönes, manchmal weich wirkendes Skulpturales aus einem „Blink of an Eye“ in der Ewigkeit. Einem in Stein erstarrten, eingefrorenen Atemzug der Erdgeschichte. Und auf der ART Düsseldorf sind es Künstler wie Markus Redl, Julian Charrière, Günter Weseler oder Lou Jaworski, die der Schönheit eines Steins ein Denkmal setzen durch ihre Bearbeitung. Das Harte zu bezwingen, den Stein zu erweichen, ihn zu verändern, ihm seine Geheimnisse zu entlocken,… man muss die Steine „lesen“ können. Ihren Chemismus erkennen können. Ihre Genese nachvollziehen können. Vielleicht gar beim Anblick des Gesteins selbst sofort erkennen, woher es stammt. Die Bildhauer der Welt erkennen, wann Zeit ist innezuhalten.

Alle Forscher und Naturwissenschaftler der Welt, alle Geologen, Physiker und Astronomen werden schon einen Blick auf die meisten Gesteine geworfen haben, sie analysiert, bearbeitet und den stummen Zeugen der Zeit Informationen entlockt haben, die den Normalsterblichen verborgen bleiben. Aber der Schönheit der Gesteine ein Denkmal zu setzen, das vermögen nur begnadete Bildhauer. Und es sind die Bildhauer und Steinmetze, die erkennen, wann Gestein sich verändert. Markus Redl erzählt in der Präsentation seines Werkes Mediazän, dass sich die Veränderungen und die Zersetzung an den Gesteinen unter atmosphärischen Bedingungen in den letzten Jahren rasant beschleunigen. Das ist vor allem gut sichtbar an verbauten Gesteinen. Bereits nach 3-5 Jahren müssen sie gereinigt werden. Das war vor zehn Jahren noch nicht so. Und Stein, der gereinigt wird, sei es unter Hochdruck oder mit chemischen Substanzen, reagiert. Er verändert sich. Gestein lebt! Es stimmt hoffnungsfroh, wenn man in der realen Welt auf Skulpturen stößt, wie die von Markus Redl, präsentiert durch die Wiener Galerie Kandlhofer. Der Bildhauer lässt den Marmor in seiner Arbeit teilweise unbehauen. Er zeigt die Arbeitsspuren, um dem Betrachter die Bruchkanten zu offenbaren, die viel verraten über die Eigenschaften des Gesteins selbst und die Spuren am Stein, die hinterlassen werden, und seine Spuren machen klar, es gibt nur eine Chance, den Stein zu bearbeiten. Was einmal aus einem perfekten Verbund heraus ist, ist weg. Man kann es kleben, nochmal ansetzen oder einfügen, aber unter normalen Bedingungen ist die Stabilität verloren. Die Perfektion ist hin. Also muss man mit größtmöglicher Sorgfalt arbeiten, hochkonzentriert, und dem Stein im metaphorischen Sinne mit Milde begegnen, ihn „zart“ behandeln. Wie ein lebendiges Stück Materie. Was wirkt wie ein erster Versuch, oder eine erste Annäherung an das Arbeiten mit Stein ist die bewusste Auseinandersetzung mit dem wertvollen, monomineralischen, reinen, calcitischen Baumaterials aus Carrara, das aufgrund der historischen Bedeutung weltweit begehrt ist.

.

Vielleicht erinnert man sich an die Gemälde von Ludek Pesek, der die Genesis in atemberaubender Schönheit überliefert hat, lange bevor das Internet den Zugang zu sämtlichen Informationen über fast alles ermöglichte. Im Draußen kann man selbst zum Gesteinsforscher werden. Mit offenen Augen durch Städte und über Friedhöfe oder durch Sakralbauten oder große Empfangshallen zu wandeln ist eine Bereicherung des Sehens, denn dort wird sie offenbar, die Geschichte der Erde und ihrer markanten Phasen. In Denkmälern, Statuen und Skulpturen, sowie Brunnen,… an Hausfassaden, auf Böden oder auf Friedhöfen.

Julian Charrières Obsidian auf der ART Düsseldorf, präsentiert durch die Düsseldorfer Galerie Sies + Höke, offenbart den erkalteten glutheißen Anbeginn des Werdens. Eine neuen Phase der Existenz. Hochglänzend poliert, wie ein Hohlspiegel. Durch die Bearbeitung arbeitet er die mikroskopisch blasige Struktur des Vulkanglases makroskopisch heraus. Obsidian, quasi der Inbegriff von Glas.

Lange bevor der Mensch begann Glas zu schmelzen, um daraus die schönsten Glasbläsereien, Glasperlen, Schmuckstücke, Prismen oder Bleiglaseinlegearbeiten zu erschaffen, lange bevor im Kirchenbau Glasfenster ihre volle Pracht durch die Glas-Künstler entfalten konnten, nutzte man die scharfkantigen, muschelartig brechenden Vulkangläser, um damit zu schneiden. Die messerscharfen Kanten, wie auch die der behauenen Feuerstein-Faustkeile der Steinzeitmenschen, dienten dem Frühmenschen als Werkzeug und zeugen vom genialen Einfallsreichtum des Menschen. Menschliche Kreativität entwickelt sich seit Anbeginn stets weiter und führt zu immer besseren und ausgereifteren Ergebnissen. Heute überliefern die Künstler den Werdegang und offenbaren die Genesis auf ihre Weise. Und natürlich auch die Entwicklung der Menschheit selbst bis zum Gegenwartsmenschen, der sich in eine fremde Dimension beamt, indem er seine Nase tief in die flache schwarze Glaswelt hineinsteckt, hinter der sich ganze Universen auftun, in denen er sich das für ihn passende aussuchen kann. Ein Universum in vielen Metaversen.

Universe, Metaverse, Holoverse, Mediaverse,… die Vielzahl der Welten können Menschen sich dank Digitalisierung und Visualisierung inzwischen gut vorstellen. Der Mensch erscheint im Holozän, weiß man,… Mit dem Faustkeil durch die Welt ziehend, jagend und sammelnd, als Höhlenmensch und Nomade, bevor er sich Land urbar macht und Tiere domestiziert. Bevor er das Feuer bezwingt und das Rad erfindet. Und Troika schlägt die Brücke von der Urzeit zur Gegenwart, mit einem Faustkeil aus Feuerstein auf einem Wafer, einer von unzähligen gesägten Einzelplatten, aus gezogenen Einkristallstäben, z.B, aus Silizium, aus denen durch nachfolgende Oberflächenbehandlung mittels Ätz- und Polierverfahren Halbleiterrohplatten werden. TROIKA ist ein kollaboratives Künstler:innen-Kollektiv aus London, das den Zustand der Welt in Kunst reflektiert, und verdeutlicht wie der technologische Fortschritt und die menschliche Realität sich gegenseitig beeinflussen. Die Künstler untersuchen, wie Informationsübermittlung in die physische Realität übergeht. International anerkannt visualisieren sie die energiewirtschaftlichen Auswirkungen auf ihr Umfeld und übersetzen z.B. in Algorithmen, was Überwachungskameras bei Naturkatastrophen oder -phänomenen aufzeichnen, wie die Serie „Irma watched over by machines“, 2022 zeigt. Die Serie „Fahrenheit 251“ von 2014 veranschaulicht eindrucksvoll die Auswirkungen elektrischen Stroms in speziell behandeltem Papier, nach Aufbringen auseinanderliegender, entgegengesetzter Pole. Kathode und Anode. Experimentelle Arbeiten, wie im Physikunterricht, nur mit Ergebnissen außergewöhnlich ästhetischer Schönheit.

Lou Jaworski, ausgezeichnet mit dem Debütantenpreis des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultur verarbeitet natürliches Gestein, wie Marmor und überzieht es mit elektrisch leitfähigen Matten. Er arbeitet mit Marmor, Ferritmagneten, Graphit und Meteoriten und erschafft außergewöhnliche Werke und Installationen, die an die menschliche Wahrnehmung physikalischer Gesetzmäßigkeiten appellieren.

Troika und Lou Jaworski sind einige der Künstler der Galerie Max Goelitz, die auf der ART Düsseldorf ausgestellt sind, neben Natacha Donzé, Lou Jaworski, Rindon Johnson, Haroon Mirza, Jürgen Partenheimer und Brigitte Kowanz, der Lichtkünstlerin, die sich unter anderem mit Informationsübertragung in Licht auseinandersetzte und zeigte, dass Licht deutlich mehr ist, als man aus der Schule weiß. Die Überlieferung der Erforschung experimenteller Ansätze zur menschlichen Wahrnehmung und Darstellung der Realität, durch kodierte Sprache und Algorithmen, wird als gelungenes Arrangement auf der ART Düsseldorf präsentiert. Die Dringlichkeit der aktuellen Fragestellungen im Hinblick auf die Zukunft unserer Welt wird einmal mehr deutlich.

„Deep and Hot“, 2017 von Thomas Feuerstein, ausgestellt in der Section Sculptures ist ein Abbild, was sich um Reaktoren herum abspielt. Molekularentstehungen und Molekularwachstum können kaum anschaulicher dargestellt werden. Denkt man an all die Forschungsprojekte rund um den Globus kann man sich vorstellen, was für Prozesse der Metamorphose in bestehenden Gesteinsverbänden in Gang gesetzt werden. Die Forschungen selbst sind es wert, dass man in Frage stellt, ob es sinnvoll ist alles zu testen was möglich ist. Vielleicht stellt sich für einen winzigen Augenblick die Frage wie weit man gehen darf. Vielleicht auch gehen sollte. Welche Datensätze wurden und werden gewonnen? Wo stehen wir heute? Vielleicht den natürlichen Prozessen in Regionen mit aktivem Vulkanismus nachempfunden, den Hot Spots, wie natürliche Reaktoren, treibende Kräfte der Krustenbewegungen und Veränderungen, offenbart er eine Idee von menschgemachten Reaktoren, die Prozesse kontrolliert steuern können. Die am Reaktor entstehenden überdimensionalen Atome, oder Molekülbausteine sollten beeindrucken. Vielleicht sieht man hier die beginnende Metamorphose der menschlichen Hinterlassenschaften. Vielleicht hat man quergedacht ein Bild von den Black Smokers in der Tiefsee im Kopf, an den Mittelozeanischen Rücken, und fragt sich welche Folgen die geplante Stilllegung energiewirtschaftlicher Atom-Anlagen haben wird. Die Datensätze aus der Vergangenheit über Blockchain geteilt und über die totale Vernetzung global verteilt,… wie wird die Zukunft aussehen? Aussehen können? Geht man die Arbeiten von Thomas Feuerstein einmal durch findet man zahlreiche Werke für neue Denkansätze.

Die Philipp von Rosen Galerie, ist mit Yelena Popovas „Landscapes of Power“ auf der ART Düsseldorf. Ein Wandteppich und ein Feld von Steinen auf Säulen sind die Auseinandersetzung der Künstlerin mit ihrer Heimatstadt Ozersk und deren Status als geheime Forschungsstätte für Atomenergie.

Der Grundriss ihres Werkes „Scholar Stones Display“ stellt den Graphitkern eines Kernreaktors dar. Zum Vergleich beginnt man das Netz zu durchforsten und wird fündig bei einem Foto eines Unterrichtsreaktors. (Hier nur zum Vergleich.) Die Scholar Stones sollen an die chinesischen Scholar Stones aus der Tang Dynastie erinnern, die der Kontemplation dienten. Hier sind es Steine aus der Umgebung stillgelegter Atomkraftwerke im Vereinigten Königreich. Yelena Popovas Arbeit fordert auf innezuhalten und sich selbst zu fragen, wie in Zukunft mit Energie umgegangen werden soll. Unabhängig von den Strukturen und Besonderheiten der Steine kann man das Kunstwerk auch als Aufforderung verstehen selbst offenen Blickes durch die Landschaft zu gehen. Auch Steine nicht zu übersehen! Veränderungen sind immer sichtbar und man kann Schlüsse daraus ziehen, in welchem Zustand die Natur aktuell ist. Inwieweit der Mensch dann Schuld ist am Zustand der Landschaft, darüber darf man streiten. Klar ist, überall, wo Mensch in die natürlichen Bedingungen eingreift verändert er. Aus Yelena Popovas Werk liest man die menschliche Hinterlassenschaft der Strahlung heraus. Was sie langfristig anrichten wird, ist vielleicht gerade erst im Ansatz ergründet.

Wie wir Menschen mit Energie umgehen und welche Welt wir nach der Rohstoffausbeutung und Verwertung unseren Nachkommen überlassen werden treibt längst viele Künstler um. So, wie Julian Charrière, der in der Langen-Foundation das ganze architektonische Meisterwerk von Tadao Ando bespielen darf, dessen Betonkern mit einer äußeren Glashülle, umbaut ist, geradezu so als ob das Gebäude eine eigene Atmosphäre bekommen sollte. Abgeschirmt vom Draußen. Vor den Gefahren des realen Klimas mit all seinen Angriffsmöglichkeiten wie Wind und Wetter und Pollenflug oder Viren- und Bakterien-, also Mikroben- bzw. Teilchenausbreitung. Julian Charrière macht in seiner Ausstellung deutlich klar: Der gegenwärtige Zustand der Erde fordert von allen ein Umdenken. Die Problemstellungen sind so zahlreich, dass man bei jedem Ansatz immer nur die Spitze des Eisbergs bearbeitet.

Einer dieser Ansätze, die uns alle angehen, ist der Artenschwund. Und der ist seit langem bekannt. Wie der Mensch diesen reflektiert, auch im Hinblick auf den Kreislauf der Natur, wird in vielen Arbeiten auf der ART Düsseldorf klar.

Vom fotografierenden Reisenden, dem Kabarettisten und Künstler Dieter Nuhr, wird weniger satirisch-kritisch, (vielleicht), eine Sammlung von Insekten durch die Galerie Löhrl überliefert. Insekten, deren Anzahl und Vielfalt so deutlich abnimmt, dass man die kleinen lästigen Dinger fast schon beginnt zu vermissen. Auf jeden Fall beginnt zu dämmern, dass ihr Nutzen in der Natur deutlich größer ist, als ihr Schaden an uns. Ihre Bekämpfung, weil man sie so oft als Störfaktoren betrachtet, sollte neu durchdacht werden. Weil sie gebraucht werden. Als Bestäuber und Naturpolizei. Also versucht man sie bionisch-technisch nachzubauen, wie so vieles organisches Leben. An kinetischen Modellen, auch auf der ART Düsseldorf präsentiert, kann man erkennen, dass sie kaum noch unterscheidbar sind vom organischen Leben. - Eine neue Spezies, die gar nicht mehr so neu ist, wie die Arbeiten von Günter Weseler beweisen.

„The New Species“ bei DIEHL/galerie volker diehl bzw. DIEHL/Galleria Ravizza mit Günter Weseler ausgestellt. Scheinbar atmende Wollmäuse in Ecken, oder Felle in Holzschalen haben sicher schon so manchen Gast bei Günter Weseler erschreckt. Wenn sich plötzlich Materie beginnt zu bewegen, als wäre sie lebendig, ist das unerwartet. - Spooky! - Was aber gut als Party-Gag der Vergangenheit taugte hat durchaus einen ernsten Hintergrund. Die Idee der elektrifizierten Materie, ein Schritt zur Schöpfung neuer Arten, die nur noch eine passende Hülle brauchen, war im Hinblick auf Automation und Arbeitserleichterung der Menschen ein Meilenstein.

Im übertragenen, metaphorischen Sinn ist sein atmender Pelz zwischen zwei von Flechten überzogenen Steinen wie ein Sinnbild dafür, dass das Weiche auch den härtesten Stein bezwingen kann. (Vielleicht.)

Was Viele nur als Kinderspielerei betrachten, das Aufheben und Sammeln von Steinen, sich darüber Kenntnisse erwerben zu wollen und die Namen kennen zu wollen, um zu erkennen, ob es sich wirklich um den Stein handelt, den man beschreibt, ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.

Die Welt ist so vielfältig, die Varietäten der materiellen Erscheinungsformen so reichlich, dass erst genaue Labor-Analytik eine exakte Klassifizierung liefern kann. Ob es sich um eine neue Schöpfung handelt, angelehnt an alte Daten, oder um tatsächlich Jahrmillionen alte Gesteine, darüber geben erst die Untersuchungen an Bohrproben und Bohrkernen Aufschluss. Gleichzeitig schwächen diese das System. All die Stollen auf dem Globus und die Unfälle im Bergbau durch Gasausbrüche oder Stolleneinbrüche zeigen, der Mensch muss sorgsam mit seiner Heimat, dem blauen Planeten umgehen. Und was wir aus vielen Arbeiten auf der ART Düsseldorf herauslesen ist ein Innehalten und sich Besinnen. In Zeiten der technischen und digitalen Hochgeschwindigkeit ist es besser zweimal nachzudenken, bevor man handelt.

Cookies einstellen, dann kann´s losgehen! Auch unsere Seite nutzt diverse Cookies und Trackingmethoden zum Optimieren der Website. Durch die Verwendung von Cookies verbessern wir die Qualität, Bereitstellung und Nutzung unserer Dienste. Mit dem Klick auf „Alle erlauben“ erklären Sie sich mit der Verwendung einverstanden. Details über die Verwendung der Cookies sowie Trackingmethoden können Sie in unserer Datenschutzerklärung nachlesen. Änderungen Ihrer Cookie Einstellungen können Sie jederzeit auch noch nachträglich vornehmen.