paper position Hamburg 2021
Alle Schreiber wissen um den Vorteil des Schreibens auf Papier mit Tinte und Stift. Ganz gleich ob Feder, Bleistift, Kugelschreiber oder Tintenroller. Ein Fluss wird in Gang gesetzt, der sich manchmal kaum bremsen lässt, und das Arbeiten auf Papier hat immer eine gewisse Eigendynamik.
Papier ist nicht gleich Papier. Die Unterschiede sind eklatant.
Ganz ohne auf das Taktgefühl Rücksicht nehmen zu müssen kann man darauf skizzieren, Gedanken fließen lassen und wieder streichen, überdenken, vielleicht neu denken, vielleicht zerknüllen, zerreißen oder sogar verbrennen. Zeit? Egal! Papier ist geduldig. Nicht so ein Smartphone. Und ein smartes Gerät mit angehangener Tastatur schon gar nicht. ERGO? - Ein Hoch auf das Papier! Und mit diesem Hoch verziert die paper positions die hohen Wände des altehrwürdigen, in die Jahre gekommenen Zwanziger-Jahre-Baus mit Tradition, und schafft einen unvergesslichen Moment, als der erste Ton von himmlischer Musik an einem Flügel in der Mitte des Rondells des Treppenhauses angeschlagen wird.
Die Kunstwerke zu fotografieren und zu beschreiben, die Künstler durch besondere Aufmerksamkeit zu würdigen ist angebracht, doch Recherche treibt ins Netz und dieses hält so viel mehr bereit, was zu schauen, zu sehen und zu bestaunen ist. Schon verliert man sich wieder in den Untiefen des digitalen Ozeans und es ist schwer einen Favoriten auszumachen, dem man das Unverwechselbare abkauft und ihn damit in den Olymp der Unsterblichkeit durch Kunst emporhebt. Den Künstlern im Netz nachgespürt findet man nicht nur das Ausgestellte und die Wahl wird immer schwerer, aber rückblickend hat man doch noch ein paar Namen mitgenommen, die man nicht mehr vergessen wird.
Das offenstehende Fenster von NOA YEKUTIELI, durch das man ins Chaos aus Zerstörung blickt, trägt den Titel „Remembering is like an open wound“ und in der Ruhe des im Umbruch befindlichen Gebäudes wird man vor dem Werk den eigenen Gedanken überlassen und man reist durch die Zeit.
Bei Tsuyoshi Hisakado, vertreten durch die Mikiko Sato Gallery, muss man nah herantreten, um das Besondere zu erkennen. Es ist die Besonderheit des fernöstlichen Arbeitens, das geprägt durch die Philosophie scheinbar ein kontemplatives „sich Verlieren“ wiederspiegelt. Wie buddhistische Mönche mit dem Rechen Kreise in den Sand ziehen, wieder und wieder und wieder, so übereignet Hisakado dem Betrachter Kreise aus scheinbar zufälligen Zahlenkolonnen, die sich zu einem Bild formieren. Es ist die Kreiszahl Pi, wie wir in einem Interview auf der Seite der Galerie nachlesen können, die sich aus dem Blau heraus zeigt, aber in Auflösung zu sein scheint, durch die Technik des Siebdruck veranschaulicht. Siebdruck ist die Technik, die Hisikado lieben gelernt hat und was er zeigt ist Meisterklasse. Im Netz nachgespürt entdeckt man mehr von seiner Arbeit und das ganze Spektrum zieht einen tiefer und tiefer in den Bann. Tsuyoshi Hisakado ist einer der drei Favoriten, die man aus den ersten paper positions Hamburg mitnimmt.
Und wieder ist es Asien, das uns einen Blick über die irdischen Belange hinaus mitnimmt auf eine Reise in andere Sphären, warum wir der Kunst Asiens einmal mehr verfallen, die es schafft mit nur einer einzigen Farbe, nur einem einzigen Ton, ganze Welten entstehen zu lassen.
Auch MINJUNG KIM ist als Name im Kopf geblieben. Vor den Arbeiten verharrt man und verliert sich in der Magie der Harmonie monochromatischer Farbverläufe in verschiedenen Ebenen und Horizonten. Hügellandschaften in bräunlich-schwarzer Tusche, oder sanftem Rot, das sich irgendwann in der Ferne verliert. Linien, Punkte, Kleckse … im Katalog fehlt auch die Spirale nicht und man wird berührt von der Kunst der Zen-Malerei. In Einfachheit, Kraft, Transparenz und Eleganz. –Harmonie ist spürbar! Erfühlbar! Sichtbar.
Carolyn Heinz mit Gabriele Basch ist der dritte Name, den man sich merken will. Scherenschnitt, offene Strukturen, „radiolaritisches“ Arbeiten mit Pappe in verschiedenen Ebenen, schafft Gabriele Basch das Kunstwerk besonderer Schattenspiele. Das Galeriehaus Hamburg führt im Netz in das breite Spektrum der Arbeiten der Künstlerin ein. Gabriele Basch ist das perfekte Beispiel dafür, dass sich Kunst im Netz sehr schwer präsentieren lässt. Detailansichten und Lichtverhältnisse, Schattenspiel und die Aussage eines Werkes … Kunst ist manchmal schwer zugänglich und selbst wenn optischer Blickfang, nicht gleich selbst erklärend.
In Werken, wie die Arbeiten von Faisal Habibi zum Beispiel, mitgebracht von Jarmuschek + Partner aus Berlin, muss man sich erst einmal hineindenken. In Facebook sieht man sie, unter anderem, in einer „sneak preview“ zur paper positions, kann aber auch das Netz durchsuchen. Was man findet ist mehr, als man gesucht hat und ob alles, was man sieht wirklich diesem Künstler zuzuschreiben ist, ist fraglich, aber man ist froh seine Arbeiten WIRKLICH gesehen zu haben, so weiß man, nicht alles ist Illusion, auch wenn es sich in diesen Tagen manchmal so anfühlt.
Die Arbeiten von OLIVER ROSS sind, und man mag den Ausdruck verzeihen, bunt. Schrill und farbintensiv. „Dotpointing works“ beim genaueren Hinschauen. Die Zusammenstellung der kleinformatigen Hochkant-Arbeiten ergeben, wie man sie von in Kunstwerken dargestellten IBM Wafern kennt, ein eigenes Bild im Großformat. Ein wenig erinnert das sich ergebende Gesamtwerk an das bekannte NFT aus der Christies-Versteigerung. Die Arbeit von Oliver Ross ist so gut, dass sie zur Ausstellungsankündigung eine halbe Seite der Printausgabe des Hamburger Tageblatt am 27. August bekommen hat.
Der Rundgang, im wahrsten Sinne des Wortes, durch die Räume um das Rondell des Treppenhauses des alten Gebäudes der Binnenschiffahrtsreeder, zeigt eine exzellente Auswahl an „paperworks“ auf zwei Ebenen. Gerade so viel, dass man nicht erschlagen wird von der Masse an Kunst, die existiert, und der man so oft mehr Zeit widmen möchte, was nahezu unmöglich ist.
Kunst, Kunst, Kunst und noch mehr Kunst denkt man bisweilen. So viele Bilder. Und jeder möchte etwas Bleibendes hinterlassen. Möchte herausstechen aus der Masse. Würde vielleicht ein nur einziges Werk reichen, um sich an seinen Erschaffer zu erinnern? Wie erinnert man sich an die alten Meister? Erinnert man sich an alle Werke oder nur ausgewählte? Was ist, was bleibt? Das Viel? Das Mehr? Das Einmalige? Das Dunkle? Das Helle? Das Farbstarke? Das Monochrome? Form? Farbe? Was macht das Kunstwerk aus, für das man sich an der eigenen Wand entscheidet?
Nach einem Wochenende voller Kunst, in der man sich nicht nur dem Urbanen hingegeben hat, das offensichtlich und für Jedermann sichtbar ist, sondern eingetaucht ist in Inszenierungen der Kunst, kuratiert von Menschen, die einen besonderen Blick auf die Welt haben, wie die Veranstalter der paper positions Kristian Jarmuschek und Heinrich Carstens, erlernt man Perspektiven in Zeitfenstern. In Szene gesetzte Zeiteinheiten, die man nur bekommt, wenn man sich an die Regeln hält. Pandemisch getestet, geimpft, und/oder genesen, und nur mit Maske darf man eintreten und TEILHABEN.