Welt in der Schwebe - Teil II
Alles, was es über die Ausstellung zu sagen gibt, steht im Katalog zur Ausstellung. Mit den perfekten Bildern dazu. In bester Qualität.
Der Katalog ist wie das Protokoll. Der Plan, was in der Erinnerung des Betrachters verankert werden soll. Doch das Gehirn ist bizarr. - „Universum in der Nussschale“ geht es durch den Kopf. - Das war von Hawking. - Dem Stephen.
Alles, was Künstler und Kuratoren wünschen, dass es gesagt wird, findet sich also im Katalog. Dann schaut man selbst. Macht sich ein Bild und taucht ein. Man lässt sich inspirieren und verbindet mit den eigenen Lebenswelten. Plötzlich findet man sich in Welten wieder, die so wahrscheinlich gar nicht beabsichtigt waren. Kunst vermag das Gehirn zu Gedankensprüngen zu animieren, die sich der Erschaffer der Werke so gar nicht gedacht hat.
Das menschliche Gehirn zieht Querverbindungen. Querverbindungen zwischen dem, was Unverständliches gesehen wird und dem, was bereits bekannt ist.
Ausstellungstitel: Welt in der Schwebe!
Was will das Hirn sehen?
Die Ausstellungsankündigung, … das Flyerfoto nimmt die Antwort vorweg.
Das Bild einer Rauch-Wolke erinnert an das Werk einer Wolke in einem Rahmen. Von Karen Shahverdian. – Hier: KEIN Rahmen. - Keine Box. - Kein Kasten! – Keine Begrenzung. - Eine Säule unter einer Lichtsäule. Nichts darauf. Man wartet. Wartet, weil man weiß, was kommen muss. Wartet auf den Moment. - Wie viele Minuten vergehen? Und dann ist er da. Der Moment. - „Paff“ – Und binnen Sekunden verteilt sich die Rauchwolke im Raum.
Rauch? – Gas? – Feinstaub? - Aerosole? – Wasserdampf? – Nebel?
Im schlimmsten Fall organisch Unsichtbares. Wie Viren und Bakterien.
Im Kunstwerk der Künstlerinnen geht es um Kontrolle. Sie versuchen die Vorgänge so weit, wie möglich, zu kontrollieren, so, wie ein Raucher Ringe in die Luft blasen kann, und damit der Luft eine Form gibt. Beschleunigte Teilchen einer flüchtigen Substanz in einem anderen Medium. Eine dauerhafte Fixierung der Form ist im offenen Raum unter atmosphärischen Normalbedingungen nicht möglich. Aber genau das ist es laut Katalog, was die Künstlerinnen beschäftigt. Kann man die Rahmenbedingungen derart verändern, dass man Rauch und Nebel quasi „einfrieren“ kann? „Versteinern“ im weitesten Sinne? Wie es Karen Shahverdian gelungen ist?
Die Beschäftigung mit den Elementen ist ganz sicher so alt, wie die vernunftbegabte Menschheit selbst und man kennt die Bilder alter Meister, in denen immer wieder versucht wird Wolken auf einem Malgrund naturgetreu abzubilden.
Der Wille auch die letzten Geheimnisse des Planeten zu enträtseln ist der ewige Antrieb, und die gesamte Ausstellung „Welt in der Schwebe“ zeugt davon, wie besessen der Mensch dabei ist zu forschen, zu messen, abzubilden, verstehen zu wollen, die Zusammenhänge begreifen zu lernen, … um sich schließlich alle Erkenntnisse nutzbar zu machen und dann auch den weiteren Raum zu erobern, um zu expandieren. In den Weltraum zu expandieren.
Abgesehen von den naturwissenschaftlich-technischen Möglichkeiten des Umgangs mit Luft, die in der Ausstellung dargestellt werden, beschäftigen sich Künstler auch mit der ganz simplen Fragestellung: Wie kann man Luft sichern?
“I can´t breathe” ist der Satz, der einfällt bei Yoko Onos Worten: „When people ask me what the most important thing is in my life, I answer: “Just breathe”
“I can´t breathe!”
Spätestens seit 2019 haben ihn viele im Hinterkopf, diesen Satz, öffentlichkeitswirksam aus den Medien, in denen ein Menschenleben ausgelöscht wurde, weil nicht „aufgehört wurde“.
Da ist sie wieder, die Sache mit dem Hirn.
Es ist ein nur einziger Satz, der so tief berührt, dass die Tränen kommen über Bilder, die man gesehen hat, und die sich unauslöschlich ins Gehirn gegraben haben. Bilder, die nur einen einzigen Splitter brauchen, um Anderes vielleicht fehl zu interpretieren, die falschen Schlüsse zu ziehen bei neuen Bildern, oder an mögliche Intentionen der Künstler zu denken, Gedanken, die weit entfernt sind von der Realität.
Stefani Glaubers „Weiter machen!“ löst einen Gedanken-Hurricane aus. Der Blick in eine Nische, in der ein Luftbefeuchter, im Design einer orientalischen Hänge-Lampe, Aerosole verbreitend zur Luftverbesserung. - Ähnliche Gefäße kennt man für Weihrauch.
Rechts von der Nische die „Rauch-Säule“ von Milanova und Lindner, im Rücken ein Raum voller weißer Ballons, aufgepustet vielleicht mit der Luft aus den Lungen eines Menschen. Lebensatem, eingepfercht in Gummi-/Kunststoff-/Plastikhüllen, Elastomere, Ballons, verteilt wie zum Bällebad bei einem Kindergeburtstag.
Wie viele Ballons mögen es sein?
„I can´t breathe!“
Links von der Nische bunte, überdimensionale Palmen, aufgeblasen wie man es von Hüpfburgen kennt. Von Kindergeburtstagen oder Kinderfesten. Otto Pienes Werk von 2014 nennt sich „Langen Stars“. Palmen sind es wohl also nicht. Otto Piene ist Mitbegründer der Gruppe ZERO und seine Sky-Art-Projekte sind schon seit den 1960ern spektakulär. Seine sternförmigen Objekte aus Spinakertuch fallen in sich zusammen, wenn die Luft aus dem Gebläse nicht mehr strömt. Die beschleunigten „Luft-Teilchen“ fehlen.
Luft! Wie wäre es, wenn sie fehlte?
„I can´t breathe“.
„I can´t breathe.“
Luft! Das Element unseres Lebens. – Wie können wir sie sichern? – Luft in Ballons? – Wie viele? - Wie viele Ballons braucht ein Menschenleben? Wie viel Luft verbraucht ein einzelner Mensch? In der Minute, in der Stunde, am Tag, in der Woche, im Monat im Jahr, … in all den Jahren seines Lebens?
„Der Künstler“, der seinen Namen abgelegt hat, hat herausgefunden wieviel KUBIKMETER Luft am Tag von einem Menschen bewegt wird und wie oft ein Mensch am Tag durchschnittlich atmet. – EIN Mensch! – Die Antwort steht im Ausstellungskatalog. - So viel sei gesagt, es ist viel!
In einer Performance „Mein Atem“, seit 2007, füllt er beständig einen geschlossenen Ausstellungsraum mit schwarzen Ballons. – Das Maß für die abgefüllte Eigenluft. – Ist es als Sinnbild zu verstehen, dafür, wie viel Luft verbraucht wird? - Von ihm. - Nur einem Menschen.
Bald sind es 8 Milliarden. – Menschen?
Hummmm, …. Hummmm, …. Hummmm, … wie Rotoren eines Windrades, nur unendlich viel lauter und dumpfer, … tieffrequent, … übertönt ein Geräusch den Raum. Es erinnert an das Geräusch eines riesigen Generators in einem Film. Den Titel hat man vergessen. Hummmm, …. Hummmm, …. Hummmm, … auf- und abschwellend, wie in einer Kreisbewegung. Der Antrieb der Galaxien-rotation? Das Geräusch eines gigantischen Pulsars? Erinnernd an einen Decken-Ventilator. Der Ton zur Videoperformance von Edith Kollath, einer tief bewegenden Arbeit über das Atmen, und die Luftbewegungen von ausatmenden Menschen, interagierend mit anderen Menschen im selben Raum, lässt erahnen, was Atmen für einen Raum bedeutet. Ausatmende Menschen, deren Atem in Blasen gefangen wird, Seifenblasen ähnelnd, Glasblasen, die an einem Punkt der Überspannung zerspringen. Am Boden glitzern Scherben. Im Schein der Projektion glitzert Glasstaub. – Wie ein Sinnbild der viel zitierten Klimakatastrophe. - Die Wüsten wachsen! – Glas – SiO2 – Quarz - Sand.
8 Mrd. Menschen, die atmen! - Bald.
Addressable Volume, (2018), das physische Ausdehnungspotential eines Lebewesens, so der Titel des theatralisch-dramatischen Videokunstwerkes.
Die Sauerstoff produzierenden Organismen brauchen mehr Schutz und Förderung! Mehr Raum!
Ein Bild fliegt in den Kopf: Baumsterben, Waldrodung, steinerne Riesen. Die Osterinsel schwirrt durchs Hirn und eine Erinnerung an die Geschichte, dass die Insel verlassen wurde, als es kein Holz mehr gab.
Wenn dem Planeten die atembare Luft ausgeht, oder man sich aufmacht in Sphären, in denen keine atembare Luft existiert, … hat sich die Menschheit dann selbst überholt?
Wann genau sprach man vom Kippunkt?
Und draußen vor dem Kunstmuseum sind kleine Kuppeln, Sphären mit unterschiedlicher Luft-zusammensetzung aufgestellt. Michael Pinskys „Pollution Pods“, von 2017. Erst denkt man an Raucherkuppeln, zum Schutz von Menschen vor Menschen, oder freundlicher gedacht: vor Kälte, aber tatsächlich sind es Nachbildungen der Luft von fünf über die Welt verteilten Städten, mit je einer spezifischen Zusammensetzung aus Ozon, Feinstaub, Stickstoffoxid, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid.
Auch Yoko Onos Kunst betrachtet die Fragestellung nach Luft. Wie kann man sie sichern, ja könnte sie gar verkaufen? Von Berliner Luft in Flaschen hat man schon gehört. Warum nicht Luft in Kapseln aus Kaugummiautomaten? – (Ähnlich Taucherflaschen.) Die Konzeptkunst der japanischen Künstlerin der „Fluxus-Bewegung“ hat schon in den 1960er Jahren bewegt. Sie hat an Aktualität seither nicht eingebüßt.
Dass Luft schon als Kunstwerk gelten darf, hat man vielleicht akzeptiert. Einen Schritt weiter gedacht nimmt Rikuo Ueda aber auch bewegte Luft unter die Lupe. Aerodynamische Prozesse, sowie Teilchenverteilungen, je nach Bewegung des Raumes, in den sie eingebettet sind, skizzert er und löst sie punktuell auf. Einer riesigen Maschine gleichend, lässt er den Wind auf ein „Wind House“ wirken und für sich „arbeiten“. Der Wind zeichnet. Man sucht in den Erinnerungen. Was hat man Vergleichbares gesehen? Ein Danny Frede, der Roboter-Staubsauger für sich hat malen lassen? Theo Jansens gigantische, kinetische Strandläufer werden wach.
Der tiefere Sinn der Arbeit Rikuo Uedas erschließt sich im Vergleich mit der Klimakartierung durch einen Thermohygrographen, der Temperatur und Luffeuchte aufzeichnet. Die Aufzeichnungen laufen über den gesamten Zeitraum hindurch während der Ausstellung.
Am Ende wird man Aussagen treffen können, wie sich die Raumluft im Museum im Laufe der Ausstellung verändert hat. Museale Praxis, um Kunstwerke zu schützen, die besonders anfällig sind für Veränderungen in der sie umgebenden Luft. Wichtig vor allem, für die Werke der schon lange verstorbenen Alten Meister, die man in der Zeit auch für die kommenden Generationen erhalten will.
Man denkt an den Pariser Louvre, die sixtinische Kapelle, die großen Kunstmuseen, Nationalgalerien, die Eremitage, bedeutende Kirchen, oder Schlösser, in denen Künstler Großes vollbracht und für die Nachwelt hinterlassen haben.
Dass der Luft wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, haben viele vielleicht durch die globale Pandemie begriffen. Obwohl hierzulande die Luftfilterung durch die verschärften Luft-Reinhaltungsgesetze immer besser wird und das Atmen kaum ein Thema ist, oder war, wird gemeinsam mit den aufstrebenden, jungen Industrienationen der Schwellenländer versucht an Lösungen zu arbeiten, damit sich alte Fehler nicht wiederholen.
Luft und Rauchschwaden, Böller und Feuerwerk, …Judy Chicagos Smoke Holes von 1970 erinnern an die Rauchfackel-Inszenierungen eines Matthias Kretschmer, oder sollte man besser sagen die Rauchfackel-Inszenierungen des Matthias Kretschmer erinnern an die Smoke Holes von Judy Chicago? - Judy Chicago, damals noch Judy Cohen, war eine der Schlüsselfiguren des kalifornischen Minimalismus und wurde Anfang der 1960er Jahre bekannt. 1970 gründete sie das Feminist Art Program am California State College in Fresno. Während sie vor allem pyrotechnisch mit Luft spielte, ging es Ulay/Marina Abramovic im Video Breathing In/ Breathing Out von 1977 um den Austausch von Luft von Mund zu Mund, und wie lange zwei Menschen lebensrettende Atemluft untereinander austauschen können, bevor aller Sauerstoff verbraucht ist.
Timm Ulrichs Videoarbeit META-ATEM ist ein Arbeitsansatz über Inspiration und Expiration, gefangen in zwei Monitoren 1976. Atem, exhaliert vor einer Glasscheibe, bis Kondensation kein Bild mehr durch die Scheibe erkennen lässt. Ein bekanntes Phänomen vor allem in überalternden PKWs.
Das Thema Atem hat auch Martin Werthmann mit seiner Diamant-Atem-Maschine (2010/2021) umgesetzt. CO2, dessen Bindungen mit Magnesium aufgebrochen werden und der Kohlenstoff als Idee am Ende zu einem Diamanten gepresst wird. Eine inspirierende Idee zur Luftverbesserung und CO2-Reduktion in der Atmosphäre.
Klimaanlagen, Luftbefeuchter, Windmaschinen, … nicht immer bemerkt man, wenn die Luft technisch umgewälzt wird, um dem Menschen das Atmen so angenehem wie möglich zu machen. Vielleicht nimmt man die Arbeit der Anlagen wahr, vielleicht ist sie auch nicht stark genug und man spürt nichts, aber in allen modernen Gebäuden wird dem Raumklima besondere Aufmerksamkeit gewidmet, nicht zuletzt auch unter gesundheitlichen Aspekten. Das Spüren eines Lufthauchs, Nina Canell & Robin Watkins haben sich dieser Idee ebenfalls gewidmet. Als ob ein Geist in der Luft schwebte. Tatsächlich ist es aber nur eine Belüftung.