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Welt in der Schwebe - Teil II

Alles, was es über die Ausstellung zu sagen gibt, steht im Katalog zur Ausstellung. Mit den perfekten Bildern dazu. In bester Qualität.

Der Katalog ist wie das Protokoll. Der Plan, was in der Erinnerung des Betrachters verankert werden soll. Doch das Gehirn ist bizarr. - „Universum in der Nussschale“ geht es durch den Kopf. - Das war von Hawking. - Dem Stephen.

Alles, was Künstler und Kuratoren wünschen, dass es gesagt wird, findet sich also im Katalog. Dann schaut man selbst. Macht sich ein Bild und taucht ein. Man lässt sich inspirieren und verbindet mit den eigenen Lebenswelten. Plötzlich findet man sich in Welten wieder, die so wahrscheinlich gar nicht beabsichtigt waren. Kunst vermag das Gehirn zu Gedankensprüngen zu animieren, die sich der Erschaffer der Werke so gar nicht gedacht hat.

Das menschliche Gehirn zieht Querverbindungen. Querverbindungen zwischen dem, was Unverständliches gesehen wird und dem, was bereits bekannt ist.

Was aber, wenn man nichts sieht?

Was passiert?

Was macht das Gehirn?

Was erwartet es?

Was hätte es beim Anblick einer leeren Säule erwartet?

Ausstellungstitel: Welt in der Schwebe!

Was will das Hirn sehen?

Die Ausstellungsankündigung, … das Flyerfoto nimmt die Antwort vorweg.

Das Bild einer Rauch-Wolke erinnert an das Werk einer Wolke in einem Rahmen. Von Karen Shahverdian. – Hier: KEIN Rahmen. - Keine Box. - Kein Kasten! – Keine Begrenzung. - Eine Säule unter einer Lichtsäule. Nichts darauf. Man wartet. Wartet, weil man weiß, was kommen muss. Wartet auf den Moment. - Wie viele Minuten vergehen? Und dann ist er da. Der Moment. - „Paff“ – Und binnen Sekunden verteilt sich die Rauchwolke im Raum.

Rauch? – Gas? – Feinstaub? - Aerosole? – Wasserdampf? – Nebel?

Im schlimmsten Fall organisch Unsichtbares. Wie Viren und Bakterien.

Shahverdians Werk ist es nicht. – Nicht dieses Mal. - Nicht hier.

“The Sky Eludes all Attempts At Planning” ist das Werk von Lyoudmila Milanova und Steffi Lindner aus dem Jahr 2017.

Es ist das Interesse an atmosphärischen Substanzen. -Ephemer, also flüchtig. - Nur für kurze Zeit bestehend. Von Auflösungsprozessen wird gesprochen, doch die Substanzen lösen sich nicht einfach auf, sie verteilen sich nur. Nebelfluide kennt man aus Diskotheken, aus Nebelmaschinen zu Partyzwecken, doch macht man sich tiefere Gedanken darüber, wenn man musikberauscht in Nebelschwaden badet? Sie durcheinanderwirbelt? Verteilt? Die Entropie, dem Bestreben der Teilchen nach maximaler Unordnung, noch etwas auf die Sprünge hilft, und die Vorgänge beschleunigt, bis die Moleküle und Teilchen am Ende nicht mehr zu sehen sind? Was nicht heißt, dass sie nicht mehr da sind. Sie sind eben nur nicht mehr dicht gepackt auf engstem Raum verteilt.

Dicht gepackt, auf engstem Raum. - Das sieht man, wenn sich Atmosphäre anreichert mit Wassermolekülen, oder mit Eiskristallen, gefrorenen Wassermolekülen, oder Rauchschwaden aus vielleicht CO2, oder anderen Substanzen. – Wolken!

Im Kunstwerk der Künstlerinnen geht es um Kontrolle. Sie versuchen die Vorgänge so weit, wie möglich, zu kontrollieren, so, wie ein Raucher Ringe in die Luft blasen kann, und damit der Luft eine Form gibt. Beschleunigte Teilchen einer flüchtigen Substanz in einem anderen Medium. Eine dauerhafte Fixierung der Form ist im offenen Raum unter atmosphärischen Normalbedingungen nicht möglich. Aber genau das ist es laut Katalog, was die Künstlerinnen beschäftigt. Kann man die Rahmenbedingungen derart verändern, dass man Rauch und Nebel quasi „einfrieren“ kann? „Versteinern“ im weitesten Sinne? Wie es Karen Shahverdian gelungen ist?

Die Beschäftigung mit den Elementen ist ganz sicher so alt, wie die vernunftbegabte Menschheit selbst und man kennt die Bilder alter Meister, in denen immer wieder versucht wird Wolken auf einem Malgrund naturgetreu abzubilden.

Andreas Gefeller hat sich dieser Aufgabe in Fotografien angenommen. Digital retuschiert und menschgesteuert entsteht eine Dramaturgie des Lichts in den Wolkengeistern, die besonders eindrucksvoll in Szene setzt, was der Faktor Mensch in dieser Atmosphäre bewirken kann. Wolkengedichte aus Kühltürmen, denen Mensch verdankt, dass er im Leben jederzeit Energie zur Verfügung hat. Scheinbar

unbegrenzt, 24/7. – 365 Tage im Jahr. - Wolkengiganten, wie sich dramatisch zusammenbrauende Gewitterwolken, die an Ruß- und Aschewolken bei Vulkanausbrüchen erinnern, die aber nicht von den Naturgewalten zeugen, denen wir auf dem Globus ausgesetzt sind, sondern von der menschlichen Fähigkeit die Elemente ein Stück weit zu beherrschen.

Der Wille auch die letzten Geheimnisse des Planeten zu enträtseln ist der ewige Antrieb, und die gesamte Ausstellung „Welt in der Schwebe“ zeugt davon, wie besessen der Mensch dabei ist zu forschen, zu messen, abzubilden, verstehen zu wollen, die Zusammenhänge begreifen zu lernen, … um sich schließlich alle Erkenntnisse nutzbar zu machen und dann auch den weiteren Raum zu erobern, um zu expandieren. In den Weltraum zu expandieren.

Abgesehen von den naturwissenschaftlich-technischen Möglichkeiten des Umgangs mit Luft, die in der Ausstellung dargestellt werden, beschäftigen sich Künstler auch mit der ganz simplen Fragestellung: Wie kann man Luft sichern?

“I can´t breathe” ist der Satz, der einfällt bei Yoko Onos Worten: „When people ask me what the most important thing is in my life, I answer: “Just breathe”

“I can´t breathe!”

Spätestens seit 2019 haben ihn viele im Hinterkopf, diesen Satz, öffentlichkeitswirksam aus den Medien, in denen ein Menschenleben ausgelöscht wurde, weil nicht „aufgehört wurde“.

Da ist sie wieder, die Sache mit dem Hirn.

Es ist ein nur einziger Satz, der so tief berührt, dass die Tränen kommen über Bilder, die man gesehen hat, und die sich unauslöschlich ins Gehirn gegraben haben. Bilder, die nur einen einzigen Splitter brauchen, um Anderes vielleicht fehl zu interpretieren, die falschen Schlüsse zu ziehen bei neuen Bildern, oder an mögliche Intentionen der Künstler zu denken, Gedanken, die weit entfernt sind von der Realität.

Stefani Glaubers „Weiter machen!“ löst einen Gedanken-Hurricane aus. Der Blick in eine Nische, in der ein Luftbefeuchter, im Design einer orientalischen Hänge-Lampe, Aerosole verbreitend zur Luftverbesserung. - Ähnliche Gefäße kennt man für Weihrauch.

Rechts von der Nische die „Rauch-Säule“ von Milanova und Lindner, im Rücken ein Raum voller weißer Ballons, aufgepustet vielleicht mit der Luft aus den Lungen eines Menschen. Lebensatem, eingepfercht in Gummi-/Kunststoff-/Plastikhüllen, Elastomere, Ballons, verteilt wie zum Bällebad bei einem Kindergeburtstag.

Wie viele Ballons mögen es sein?

„I can´t breathe!“

Links von der Nische bunte, überdimensionale Palmen, aufgeblasen wie man es von Hüpfburgen kennt. Von Kindergeburtstagen oder Kinderfesten. Otto Pienes Werk von 2014 nennt sich „Langen Stars“. Palmen sind es wohl also nicht. Otto Piene ist Mitbegründer der Gruppe ZERO und seine Sky-Art-Projekte sind schon seit den 1960ern spektakulär. Seine sternförmigen Objekte aus Spinakertuch fallen in sich zusammen, wenn die Luft aus dem Gebläse nicht mehr strömt. Die beschleunigten „Luft-Teilchen“ fehlen.

Luft! Wie wäre es, wenn sie fehlte?

„I can´t breathe“.

Wer kennt Situationen, in denen Luft fehlt? Welche Situationen kann man sich vorstellen?

Unter Wasser? Beim Tauchen und dem Willen, oder gar Zwang eine Strecke zu schaffen! Eingesperrt in einer Höhle? In einem Schutzraum? In einem Aufzug?

Vielleicht denkt man an Filme oder Berichte von Eingesperrten, Gequälten, Gefolterten, … vielleicht von unter Trümmern Begrabenen, … von Opfern von Missbrauch und Gewalttaten?

„I can´t breathe.“

Luft! Das Element unseres Lebens. – Wie können wir sie sichern? – Luft in Ballons? – Wie viele? - Wie viele Ballons braucht ein Menschenleben? Wie viel Luft verbraucht ein einzelner Mensch? In der Minute, in der Stunde, am Tag, in der Woche, im Monat im Jahr, … in all den Jahren seines Lebens?

„Der Künstler“, der seinen Namen abgelegt hat, hat herausgefunden wieviel KUBIKMETER Luft am Tag von einem Menschen bewegt wird und wie oft ein Mensch am Tag durchschnittlich atmet. – EIN Mensch! – Die Antwort steht im Ausstellungskatalog. - So viel sei gesagt, es ist viel!

In einer Performance „Mein Atem“, seit 2007, füllt er beständig einen geschlossenen Ausstellungsraum mit schwarzen Ballons. – Das Maß für die abgefüllte Eigenluft. – Ist es als Sinnbild zu verstehen, dafür, wie viel Luft verbraucht wird? - Von ihm. - Nur einem Menschen.

Bald sind es 8 Milliarden. – Menschen?

Hummmm, …. Hummmm, …. Hummmm, … wie Rotoren eines Windrades, nur unendlich viel lauter und dumpfer, … tieffrequent, … übertönt ein Geräusch den Raum. Es erinnert an das Geräusch eines riesigen Generators in einem Film. Den Titel hat man vergessen. Hummmm, …. Hummmm, …. Hummmm, … auf- und abschwellend, wie in einer Kreisbewegung. Der Antrieb der Galaxien-rotation? Das Geräusch eines gigantischen Pulsars? Erinnernd an einen Decken-Ventilator. Der Ton zur Videoperformance von Edith Kollath, einer tief bewegenden Arbeit über das Atmen, und die Luftbewegungen von ausatmenden Menschen, interagierend mit anderen Menschen im selben Raum, lässt erahnen, was Atmen für einen Raum bedeutet. Ausatmende Menschen, deren Atem in Blasen gefangen wird, Seifenblasen ähnelnd, Glasblasen, die an einem Punkt der Überspannung zerspringen. Am Boden glitzern Scherben. Im Schein der Projektion glitzert Glasstaub. – Wie ein Sinnbild der viel zitierten Klimakatastrophe. - Die Wüsten wachsen! – Glas – SiO2 – Quarz - Sand.

8 Mrd. Menschen, die atmen! - Bald.

Addressable Volume, (2018), das physische Ausdehnungspotential eines Lebewesens, so der Titel des theatralisch-dramatischen Videokunstwerkes.

Die Sauerstoff produzierenden Organismen brauchen mehr Schutz und Förderung! Mehr Raum!

Ein Bild fliegt in den Kopf: Baumsterben, Waldrodung, steinerne Riesen. Die Osterinsel schwirrt durchs Hirn und eine Erinnerung an die Geschichte, dass die Insel verlassen wurde, als es kein Holz mehr gab.

Wenn dem Planeten die atembare Luft ausgeht, oder man sich aufmacht in Sphären, in denen keine atembare Luft existiert, … hat sich die Menschheit dann selbst überholt?

Wann genau sprach man vom Kippunkt?

Und draußen vor dem Kunstmuseum sind kleine Kuppeln, Sphären mit unterschiedlicher Luft-zusammensetzung aufgestellt. Michael Pinskys „Pollution Pods“, von 2017. Erst denkt man an Raucherkuppeln, zum Schutz von Menschen vor Menschen, oder freundlicher gedacht: vor Kälte, aber tatsächlich sind es Nachbildungen der Luft von fünf über die Welt verteilten Städten, mit je einer spezifischen Zusammensetzung aus Ozon, Feinstaub, Stickstoffoxid, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid.

Auch Yoko Onos Kunst betrachtet die Fragestellung nach Luft. Wie kann man sie sichern, ja könnte sie gar verkaufen? Von Berliner Luft in Flaschen hat man schon gehört. Warum nicht Luft in Kapseln aus Kaugummiautomaten? – (Ähnlich Taucherflaschen.) Die Konzeptkunst der japanischen Künstlerin der „Fluxus-Bewegung“ hat schon in den 1960er Jahren bewegt. Sie hat an Aktualität seither nicht eingebüßt.

Seit SARS CoV 2 und dem Maskentragen über längere Zeiträume hinweg hat man vielleicht ein anderes Verständnis vom Atmen und Luft holen und kann sich vorstellen, wie es für Menschen sein muss, die dauerhaft unter Masken leben oder arbeiten müssen. (Atemschutzmasken, medizinischen Masken, oder vielleicht auch einfach nur unter Geweben zum Schutz vor Staub und Feinstaub in der Luft oder anderen Gefahren, die weniger rational begründbar sind.)

Vielleicht ist man bereit einmal im Leben zu erleben, wie es sich anfühlt, wenn das Atmen schwer fällt. Die Ausstellung „Welt in der Schwebe“ ist ein MUST, für alle, die den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus wagen wollen und die Zeitkritik im Hinblick auf den Klimawandel einmal in nicht schriftlicher Form erleben wollen.

Dass Luft schon als Kunstwerk gelten darf, hat man vielleicht akzeptiert. Einen Schritt weiter gedacht nimmt Rikuo Ueda aber auch bewegte Luft unter die Lupe. Aerodynamische Prozesse, sowie Teilchenverteilungen, je nach Bewegung des Raumes, in den sie eingebettet sind, skizzert er und löst sie punktuell auf. Einer riesigen Maschine gleichend, lässt er den Wind auf ein „Wind House“ wirken und für sich „arbeiten“. Der Wind zeichnet. Man sucht in den Erinnerungen. Was hat man Vergleichbares gesehen? Ein Danny Frede, der Roboter-Staubsauger für sich hat malen lassen? Theo Jansens gigantische, kinetische Strandläufer werden wach.

Der tiefere Sinn der Arbeit Rikuo Uedas erschließt sich im Vergleich mit der Klimakartierung durch einen Thermohygrographen, der Temperatur und Luffeuchte aufzeichnet. Die Aufzeichnungen laufen über den gesamten Zeitraum hindurch während der Ausstellung.

Am Ende wird man Aussagen treffen können, wie sich die Raumluft im Museum im Laufe der Ausstellung verändert hat. Museale Praxis, um Kunstwerke zu schützen, die besonders anfällig sind für Veränderungen in der sie umgebenden Luft. Wichtig vor allem, für die Werke der schon lange verstorbenen Alten Meister, die man in der Zeit auch für die kommenden Generationen erhalten will.

Man denkt an den Pariser Louvre, die sixtinische Kapelle, die großen Kunstmuseen, Nationalgalerien, die Eremitage, bedeutende Kirchen, oder Schlösser, in denen Künstler Großes vollbracht und für die Nachwelt hinterlassen haben.

Die Luft verändert. Obgleich unsichtbar ist sie so voller elementarer Teilchen, dass sie mit allem wirkt, das sie berührt. Sei es in Ruhe oder Sturm.

Wie Mensch Sturm entfachen kann wissen vor allem Wissenschaftler der Luft- und Raumfahrt- oder Energie und Verfahrenstechnik.

Windmaschinen und überdimensionale Gebläse, ja auch Windräder, sie können entweder von Luft in Bewegung versetzt und angetrieben werden, als auch selbst in Bewegung versetzen und antreiben.

Arcangelo Sassolino hat eine Turbine im Außengelände des Museums platziert. 1000 U/min! - „Il vuoto senza misura“ von 2021 wartet auf seine Abenteurer. „Bewunderer“, „Bestauner“, „Erfahrer“.

Die menschliche Kontrolle über die Luft ist schon weit in den Erkenntnissen, was aber, wenn sich Luftschläuche durch den Raum bewegen. Was man von fast unsichtbaren Salpen-schläuchen, bzw. Formen aus dem Meer kennt gibt es vielleicht so auch in der Luft.

Unsichtbare Lufttunnel oder -Röhren, oder -Blasen, oder -Gebilde. Um es sich vorstellen zu können hat Hans Hemmert riesige Luftblasenmonster aus Latex erschaffen. Man kann sie in den Raum quetschen oder durch den Raum schieben, die Elastizität des Materials lässt es zu, dass sie sich durch die engsten Ritzen und Spalten bewegen können. Solange sichtbar, wie hier in gelb, nur ein interessantes Objekt, was aber, wenn sie plötzlich unsichtbar auf einen zukommen, und man es erst wahrnimmt, wenn sie einen überrollen? Wie wäre eine dunkle Masse in der Nacht, die beschleunigt auf einen zuraste und einen quasi überrollte? Dann denkt man vielleicht an menschengroße, transparente Plastik-Bälle, in die Menschen „einsteigen“ können und in denen Fortbewegung zu einer Herausforderung wird. Man überlegt, was mit all dem Reifenabrieb geschieht, der beim Verkehr entsteht und sich als Partikelmasse im Raum verteilt. Pneuma geht es einem durch den Kopf und Thomasz Sarrazeno mit seiner visionären Architektur für ein nachhaltiges Morgen fällt einem ein. „Air Art“ war schon der Titel für eine Ausstellung 1968/69. Damals präsentierte Andy Warhol unter anderem seine Silver Clouds. … „Die Werke agieren im Raum ohne feste Grenzen. …“ So damals die erklärenden Worte des Kurators Willoughby Sharp, der die pneumatischen Arbeiten näher beschrieb (Quelle: Ausstellungskatalog zur Ausstellung „Welt in der Schwebe“). - Air! – Luft! – Ein denkwürdiges Material für die Auseinandersetzung in der Kunst. – Ein Stoff, der uns alle am Leben erhält. … Und wir gehen so achtlos damit um. Vielleicht, weil Luft zumeist unsichtbar ist?

Lang/Baumanns Arbeit „Comfort“, außen am Kunstmuseum Bonn angebracht, lässt einen an das Centre Pompidou denken. Die, riesigen Außenrohren ähnelnden, Luftschläuche erinnern an die Funktionalität von Rohren in der Architektur. Rohre, denen alle möglichen Funktionen zugeordnet sein können. Möglicherweise dienen Außenrohre der Belüftung, der Befeuchtung, der Kühlung, Bewässerung oder Entlüftung. Je nach Anordnung, können Rohre zu echten ästhetische Schönheiten werden.

Das Spielen mit den Luftschläuchen verleiht dem Kunstmuseum Bonn, das an sich schon eine architektonische Schönheit ist, noch einmal ein ganz besonderen Reiz, und man empfindet die Symbiose mit dem nüchternen Beton als Aufwertung der Architektur.

Je nach Stabilität des Luft umgebenden Materials kann man sich die Rohre für alle mögliche Zwecke vorstellen. Plötzlich gehen die Ideen mit einem durch und man hängt die Luftröhren als Riesenrutschen in luftigen Höhen auf.

Das Spiel mit der Luft haben auch Christo und Jeanne Claude immer wieder in ihren Skizzen und Arbeiten aufgegriffen. So darf man bei der Welt in der Schwebe eine Fotografie aus der Edition 1968 bestaunen, in der ein riesiger Schlauch zur documenta IV in Kassel in den Himmel ragte. Im Ausstellungskatalog liest man …“2.000 m² PVC-beschichtetes Treviragewebe, in Form gehalten durch ein Netz aus 3.500 Metern speziell angefertigtem Seil …“ Den Schlauch aufzurichten muss damals noch ein hartnäckiges Unterfangen gewesen sein.

Charlotte Charbonnel beweist, dass Luft auch tönen kann. Mit scheinbar handelsüblichen Regenablauf-Rohren erschafft sie die „Syphonie pour orgue“ und man erinnert sich vielleicht an die Kindheit, in der so manch einer vielleicht durch eingegrabene Rohre über mehrere Meter hinweg kommuniziert hat. Luft wird hier zum Überträger von Kommunikation und wieder wird einem klar, was für ein besonderer Werkstoff es ist. – Es. Sie. Sie, die Luft, unser kostbares Gut, ohne das wir nicht atmen könnten. Einmal mehr überkommt uns das schlechte Gewissen darüber, was wir unseren Elementen antun und der Klimawandel rückt wieder ins Bewusstsein. – Luft. – Air. – Lebenspender, Wolkenträger und Kommunikationsübermittler.

Dass der Luft wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, haben viele vielleicht durch die globale Pandemie begriffen. Obwohl hierzulande die Luftfilterung durch die verschärften Luft-Reinhaltungsgesetze immer besser wird und das Atmen kaum ein Thema ist, oder war, wird gemeinsam mit den aufstrebenden, jungen Industrienationen der Schwellenländer versucht an Lösungen zu arbeiten, damit sich alte Fehler nicht wiederholen.

Luft und Rauchschwaden, Böller und Feuerwerk, …Judy Chicagos Smoke Holes von 1970 erinnern an die Rauchfackel-Inszenierungen eines Matthias Kretschmer, oder sollte man besser sagen die Rauchfackel-Inszenierungen des Matthias Kretschmer erinnern an die Smoke Holes von Judy Chicago? - Judy Chicago, damals noch Judy Cohen, war eine der Schlüsselfiguren des kalifornischen Minimalismus und wurde Anfang der 1960er Jahre bekannt. 1970 gründete sie das Feminist Art Program am California State College in Fresno. Während sie vor allem pyrotechnisch mit Luft spielte, ging es Ulay/Marina Abramovic im Video Breathing In/ Breathing Out von 1977 um den Austausch von Luft von Mund zu Mund, und wie lange zwei Menschen lebensrettende Atemluft untereinander austauschen können, bevor aller Sauerstoff verbraucht ist.

Timm Ulrichs Videoarbeit META-ATEM ist ein Arbeitsansatz über Inspiration und Expiration, gefangen in zwei Monitoren 1976. Atem, exhaliert vor einer Glasscheibe, bis Kondensation kein Bild mehr durch die Scheibe erkennen lässt. Ein bekanntes Phänomen vor allem in überalternden PKWs.

Das Thema Atem hat auch Martin Werthmann mit seiner Diamant-Atem-Maschine (2010/2021) umgesetzt. CO2, dessen Bindungen mit Magnesium aufgebrochen werden und der Kohlenstoff als Idee am Ende zu einem Diamanten gepresst wird. Eine inspirierende Idee zur Luftverbesserung und CO2-Reduktion in der Atmosphäre.

Klimaanlagen, Luftbefeuchter, Windmaschinen, … nicht immer bemerkt man, wenn die Luft technisch umgewälzt wird, um dem Menschen das Atmen so angenehem wie möglich zu machen. Vielleicht nimmt man die Arbeit der Anlagen wahr, vielleicht ist sie auch nicht stark genug und man spürt nichts, aber in allen modernen Gebäuden wird dem Raumklima besondere Aufmerksamkeit gewidmet, nicht zuletzt auch unter gesundheitlichen Aspekten. Das Spüren eines Lufthauchs, Nina Canell & Robin Watkins haben sich dieser Idee ebenfalls gewidmet. Als ob ein Geist in der Luft schwebte. Tatsächlich ist es aber nur eine Belüftung.

Luft, Atem, Atmen…

Welt in der Schwebe! – Luft als künstlerisches Material … Eine faszinierende Ausstellung im Kunst Museum Bonn. Eine Ausstellung, die man empfehlen kann. Zu sehen bis zum 19.06.2022. Einige Arbeiten aber haben eine verkürzte Laufzeit, wie beispielsweise die „Pollution Pods“ von Michael Pinsky. Man sollte also nicht all zu lange mit einem Besuch warten.

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