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Modern Postwar! – Nachkrieg? - Die Art Cologne 2022 macht nachdenklich.

E-Mails fliegen durch den Raum, in die digitalen Wolken, die alles verändern können. Worte weise zu wählen ist wichtiger denn je, in einer Zeit, in der Siri und Alexa schlummernd in ihrer “Box“ warten. Vielleicht manchmal mit einem halb geöffneten Auge, und immer offenen Ohr. Und sie warten auf ihren Ruf, um zu erwachen. Man beginnt zu ahnen, wie leicht ein Kippen von Systemen möglich ist.

Nach dem Krieg war in der Vergangenheit immer auch ein vor dem Krieg. Seit Gründung der Uno ist es schwerer geworden folgenlos patriotisch und nationalstaatlich zu agieren. Das ist gut so. Im Hinblick auf Menschlichkeit blicken die Völker vielleicht zurück und reflektieren.

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold…“ Die Textprogramme gleichen ab, suchen Übereinstimmungen und reflektieren… es braucht neue Wege in der Kommunikation. Sprache wird dabei für manch einen zur Nebensache. Der Fokus wird auf ein anderes Feld verlagert. Die machtvolle Bildsprache in der Kunst rückt vor.

Seit Corona ist man vorsichtig geworden mit seinen Positionen. Fürchtet vielleicht die Kritik. Selbstreflexiv das eigene Können in Frage zu stellen ist nicht falsch, aber auch nicht förderlich. Bei der Preisverleihung des Preises für Kunstkritik der diesjährigen Art Cologne wird das einmal mehr offenbar. Die Zukunft der Kritik, die früher laut und rotzig daherkam, auch verletzend und bisweilen unter der Gürtellinie, heute verhaltener und auf Harmonie bedacht, steht auf dem Prüfstand. Kritik muss möglich sein und bleiben. - Auch unter politischem Druck. In Zeiten von Social Media hat die Masse eine Macht erhalten, die kaum im Zaum zu halten ist, also wird Kritik, vor allem Kunstkritik als Sprachspiel sich verändern müssen. - Der Kongress „Die Zukunft der Kritik“, in der Bundeshalle in Bonn vom 18. - 19.11.22 und in der Akademie der Künste in Berlin vom 24. – 26.11.2022, stellt sich den Fragen rund um das Thema.

Die Galerie Temnikova & Kasela aus Estland präsentiert ein Video der Aufzeichnung einer Performance, die während der Ruhrfestspiele gedreht wurde. Weibliche Sicherheitskräfte auf Streife, die in Zeiten von Ausgangssperren verspielt und gelangweilt wirken. Die überdimensionalen Hüte mit eigenem Markenlabel hängen an der Wand. Zwei der Sicherheitskräfte patroullieren über die Messe. Tallinn, das sich noch gut an die Zeiten des Eisernen Vorhangs erinnern kann, hat die Angst nicht vergessen. Das Video wirkt wie ein Spiel mit der Idee, was, wenn Frieden einem repressiven System die Härte nimmt. - Was wird aus denen, die zur Härte erzogen wurden?

„Auf der Suche nach Menschlichkeit“ (*Ausstellungstitel einer vergangenen Ausstellung des Künstlers AiWeiWei), entdeckt man Erkan Özgens Videoarbeit „Silencing the past“ in der Galerie Zilbermann. Ein Kind, ein Mädchen, spielend im Wald, mit Patronen. (Patronus, Patroni? … Patronen? - „Patronen“! - Wieder so ein Wort.) Erkan Özgen setzt das Spiel in Szene, in einer schneelosen Winterlandschaft. In einer kargen, tristen Waldkulisse voller laubloser oder herbstbewaldet brauner Bäume. Und auf die Stelle, auf der sie sitzt, wird der Untergrund auf dem Monitor zu einer rostroten Reflexion eines gegenüberliegenden Bildes. „Silencing the Past“ ist wie eine Erzählung aus den Geschichten der Großeltern, deren Kinder nach dem zweiten Weltkrieg unbeaufsichtigt im Draußen spielten, weil sie hart arbeiten mussten. Und das Draußen war voll von Überresten und Hinterlassenschaften des Krieges. Waffen wurden zu Spielzeug gemacht. - Patronen, anstatt Murmeln. - Gesteckt in den Sand, den Untergrund, die Erde. Und um die Ecke findet man die Spiellandschaft des Kindes in Groß.

Relikte der Zeit des Kalten Krieges. - Offen. - Heute… Und eine Landschaft, vielleicht vorstellbar in einer Grenzregion, zeigt ein kleines, weißes Haus, an einem herbstöden Hang. – Eine Öffnung, ohne Fenster. Damit nichts reflektieren kann. Wäre es eine Zeit des Krieges, wäre das Haus ganz sicher nicht weiß, sondern fügte sich in die Landschaft. Sim Chi Yin, Isaac Chong Wai, Simon Wachsmuth, und Erkan Özgen wecken Gefühle, und werfen „wesentliche Fragen über die Rolle der Kunst angesichts der Unmittelbarkeit von Krieg und Gewalt“ auf. (*Quelle: Zilberman Gallery, zu Erkan Özgen)

Fatos Irwen war drei Jahre lang inhaftiert, und hat ihre Zeit mit kreativem Sinn ausgefüllt. Die Serie „Tea Tree“ erinnert an Strukturen in kalkhaltigen Gesteinen, wie dem Solnhofener Plattenkalk. Es ist ihre Geschichte, die bewegt und die nachdenklich zurücklässt. Eine Geschichte, die sich wie auch die anderen Zilberman-Künstler mit „Gerechtigkeit, Machtbeziehungen, Glaubenssystemen und Geschlechterpolitik“* auseinandersetzt. (Quelle: Zilberman Gallery zu Fatos Irwen)

In der Koje der Zilbermann-Galerie wird man auf eine Reise in die Traurigkeit über die Schrecken des Grausamen an der Menschlichkeit mitgenommen, die besonders deutlich veranschaulicht wird in den Fotografien des Hong Konger Künstlers Isaac Chong Wai, der *Repräsentationen des Körpers, der Machtlosigkeit, Gewalt, des Kollektivismus, der Führungslosigkeit und Trauer* inszeniert. Das „Erinnern für die Zukunft“ wie „verletzlich, aber auch widerstandsfähig wir sind“ wird verdeutlicht und macht Mut über die Traurigkeit und das Entsetzen hinweg zu wachsen und vielleicht andere Richtungen einzuschlagen und immer wieder neue Wege auszuprobieren. (*Quelle: Zilberman Gallery, zu Isaac Chong Wai)

Was Menschlichkeit ausmacht, der Frage geht auch Mario Moore nach. Bei Sakhile & Me. In einem langen Gespräch mit der Galeristin erfährt man, wie mit den Möglichkeiten der vorhandenen Werkzeugen gespielt wird, um das Unterbewusstsein eines Gegenübers anzusprechen. Ein Bild mit einer Stadtkulisse, mit einem Schattenmann am gegenüberliegenden Ufer, die Szenerie in Blau gehalten, wie ein Screen, setzt sofort das Denken und Kombinieren in Gang. Das Dunkle wirkt rätselhaft, der Dargestellte bleibt im Schatten. Warum wird das Antlitz nicht herausgearbeitet? Um es zu schützen? Damit nicht am Ende Spuren zurückbleiben, wie bei Kindern voller Ernst, die vielleicht in familiären Verhältnissen und gesellschaftspolitischen Strukturen aufwachsen, die tiefe Narben an Leib und Seele hinterlassen.

Geht man zurück in der Geschichte, weit zurück, kommt die finstere Zeit der Seefahrer und Entdecker und das reiche Europa hat eine Lawine ins Rollen gebracht, die vielleicht erst heute so allmählich, hoffentlich, zum Erliegen kommt. Man denkt vielleicht an Sklaverei und Menschenhandel, an schriftliche Überlieferungen und Bücher, die nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind und so oft einen Typus Opfer beschrieben haben, dass die typisierte Opferrolle festgesetzt hat. Es gibt Ansätze die Bücher in Neuauflagen umzuschreiben. Neu zu schreiben. Michael Endes „Unendliche Geschichte“ ist einer der großen Bestseller, die mit der Idee einer Neuformulierung des geschriebenen Wortes spielen. Was wäre, wenn man den nächsten Generationen eine andere Geschichte überlieferte? Ein zukunftsorientiertes Denken, das den Fokus nach vorn anstatt zurück richtet? Wenn Geschichte ihrer Bedeutung enthoben würde. Dann könnte das Mädchen mit dem Perlenohrring der Bedeutung beraubt werden, das es hat, und weder Farbe noch Herkunft würden vielleicht noch eine Rolle spielen. Ein Gedankenspiel, das vielleicht in eine bessere Zukunft führen könnte, als es die festgefahrenen Ansichten der Vergangenheit hinterlassen haben. Vielleicht lässt sich doch etwas bewirken. Durch Kunst.

Die klassischen Rollen aufbrechen und die Perspektive wechseln… Die Art Cologne 2022 zeigt Positionen, die vielleicht tiefgreifende Veränderungen vorankündigen.

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